Pacing-Strategie bei Radmarathons

Theorie

Damit du bei einem Radmarathon wie dem Alpenbrevet dein volles Potential ausschöpfen kannst, braucht es ein gutes Pacing in Kombination mit der richtigen Menge an Verpflegung. Denn bei solch langen Belastungen kommt die meiste Energie aus Kohlenhydraten. Sind zu wenige Kohlenhydrate vorhanden, drosselt der Körper die Leistung, um mehr Fett verbrennen zu können. Das sind die Vorboten des "Hungerasts". Wichtig für dich zu wissen ist, dass du unmöglich so viel essen kannst, wie du an Kohlenhydraten verbrauchst.  

Theoretisch kann der Körper pro Stunde zwischen 100 – 120g Kohlenhydrate aufnehmen. Das entspricht 400 – 480 Kcal. Das schaffen aber nur Profis, welche dies regelmässig trainieren. Hobbysportler können nur etwa 60g bis 90g Kohlenhydrate essen = 240 bis 360 Kcal. Wie viel Gramm Kohlenhydrate du pro Stunde verbrauchst, hängt einerseits von deiner FTP (Anaerobe Schwelle) und andererseits  von der gefahrenen Wattleistung ab.  Denn je näher du mit der Wattleistung deiner FTP kommst, umso weniger Fett wird verbrannt und umso mehr Kohlenhydrate.

Bei 100% FTP verbrauchst du 100% Kohlenhydrate.

Bei 90% FTP verbrauchst du ca. 90% Kohlenhydrate.

Bei 80% FTP verbrauchst du ca. 70% Kohlenhydrate

Bei 70% FTP verbrauchst du ca. 50%. Kohlenhydrate 

 

Wie gross das Defizit ist, siehst du an 3 Rechenbeispielen. 

 

Rechenbeispiel 1 (FTP: 300 Watt)

1h Fahrzeit mit 90% FTP = 270 Watt. Etwa 90% der Energie kommt aus Kohlenhydraten = Total 249g. 80g Kohlenhydrate wurden gegessen, ergibt ein Defizit von 169g Kohlenhydrate.

 

Rechenbeispiel 2 (FTP: 338 Watt)

1h Fahrzeit mit 80% FTP = 270 Watt. Etwa 70% der Energie kommt aus Kohlenhydraten = Total 193g. 80g Kohlenhydrate wurden gegessen, ergibt ein Defizit von 113g Kohlenhydrate.

 

Rechenbeispiel 3 (FTP: 386 Watt)

1h Fahrzeit mit 70% FTP = 270 Watt. Etwa 50% der Energie kommt aus Kohlenhydraten = Total 138g. 80g Kohlenhydrate wurden gegessen, ergibt ein Defizit von 58g Kohlenhydrate.

 

Zum Glück verfügt dein Körper über einen "Kohlenhydrate-Tank", genannt Glykogen. In Muskeln und Leber kann maximal 500g davon gespeichert werden. Nehmen wir nun das Rechenbeispiel 1. Dort haben wir ausgerechnet, dass das Defizit pro Stunde 169g beträgt. Teilen wir nun 500g durch 169g. Ergibt 2.95. Das bedeutet, dass eine Person mit einer FTP von 300 Watt und einer Durchschnittswattleistung von 270 Watt, bei einer Energiezufuhr von 80g Kohlenhydrate pro Stunde, nach ziemlich genau 3 Stunden die Energiereserven aufgebraucht hat. Das reicht beim Alpenbrevet höchstens für 2 Pässe. Somit ist klar, dass in diesem Beispiel 1, 270 Watt zu viel sind. 

Versuchen wir es also mit Rechenbeispiel 2. Wir rechnen 500g geteilt durch 113g und kommen auf knapp 4.5 Stunden, was theoretisch immer noch nicht reicht für die Goldtour von 215 Km und 5000 Höhenmeter. Aber was wir noch nicht berücksichtigt haben ist, dass in den Abfahrten deutlich weniger Energie verbraucht wird. Wenn wir eine Durchschnittliche Leistung von 100 Watt rechnen in der Abfahrt, beträgt der Verbrauch ca. 80g Kohlenhydrate pro Stunde. Die Energiebilanz ist also ausgeglichen, wenn auch hier die 80g pro Stunde gegessen werden.  Das bedeutet, dass du gut 4.5 Stunden am Berg mit 80% FTP fahren kannst. Einer gut trainierten Person reicht diese Zeit um 3 Pässe zu bezwingen. 

 

In der Praxis

Die Theorie suggeriert, dass du mit recht grossem Aufwand eine perfekt Pacing-Strategie erstellen kannst. In der Praxis beeinflussen aber zu viele Faktoren, ob es gelingt diese Strategie so umzusetzen. Ist deine FTP überhaupt korrekt ermittelt worden oder rechnest du mit der FTP die Garmin oder ZWIFT vorschlägt? Wie stark beeinflusst z.B. nass-kaltes Wetter den Energieverbrauch? Wurde die Höhenlage mit einberechnet? Können überhaupt 80g Kohlenhydrate gegessen werden oder verträgt dein Magen gar nur 60g oder gelingt es dir sogar 100g zu essen? Selbst für uns als Coaches ist es fast unmöglich hier eine allgemeine Empfehlung zu geben. Bei unseren eigenen Kunden hingegen, gelingt uns dies sehr gut, da wir deren Leistungsvermögen, Möglichkeiten und Gewohnheiten gut kennen. Zum Schluss möchte ich aber dennoch einige generellen Tipps geben.

  • Teste vor dem Event in einem 4-6h Training, wie viel Gramm Kohlenhydrate dein Magen verträgt.
  • Ermittle deine FTP mit einem geeigneten Test. Wir empfehlen einen PowerProfileTest bei Wyss Training
  • Für einen Radmarathon von 6-8h Stunden, würde ich an den Anstiegen eine Leistung von maximal 80% FTP anstreben.
  • Lasse dich nicht durch deine Gegner:innen verunsichern. Leute ohne Pacing-Strategie starten oft zu schnell.
  • Wenn du um den Sieg bei einem Rad-Marathon kämpfst, sollst du all-in gehen und das Pacing vergessen. Versuche so lange wie möglich ganz vorne mitzufahren. 
  • Reduziere die Wattleistung mit zunehmender Höhe (ca. 0.65% pro 100Hm) (mehr zu diesem Thema hier)
  • Wenn du kein Wattmesser hast, achte lieber auf dein Gefühl als auf deine Herzfrequenz