Wiegetritt

Wer regelmässig Radrennen der Profis schaut, wie sie Anstiege "hochknallen" und sich gegenseitig versuchen zu distanzieren, ist sicher etwas neidisch, wie leichtfüssig und einfach es aussieht. Obwohl alle am Limit fahren, können sie scheinbar immer noch etwas zusetzen, indem sie aus dem Sattel in den sogenannten Wiegetritt gehen. Trotzdem drängt sich der Gedanke auf, ob und wann dieser Wiegetritt überhaupt effizienter ist, als im Sattel sitzen zu bleiben. Denn es scheint klar, dass mindestens die Aerodynamik markant schlechter wird. Aber ob es zudem mehr Kraft braucht, lässt sich vom Sofa aus nur schwer beurteilen. 

Klar ist, dass man bei einem kurzen Sprint einen deutlich höheren Power-Output hat. In  einer Studie von 2002 (Millet et al.) wurde eine Differenz von 20% gemessen, bei Sprints von 30 Sekunden. Doch je länger die Sprint- / Intervalldauer, umso kleiner wird die Differenz. 

 

Theorie

Die Kraftentfaltung im Radsport ist im Gegensatz zum Laufsport sehr viel effizienter, da das eigene Körpergewicht nicht von den Beinen getragen werden muss. Darum bekommen Radsportler:innen übrigens auch so fürchterlichen Muskelkater, wenn sie ab und zu joggen gehen. Wenn nun aber im Wiegetritt gefahren wird, lastet das Gewicht sehr wohl zu einem grossen Teil auf den Beinen. Da aber das Pedal nach unten gedrückt werden muss und dies die Schwerkraft in Kombination mit dem Körpergewicht zu einem grossen Teil übernimmt, ist die Effizienz in der Theorie genau gleich hoch, obwohl der Puls und die Atemfrequenz höher sind. Dies hat damit zu tun, dass mehr Muskelgruppen aktiviert sind wie z.B. die Arme. So erreicht man im Wiegetritt maximale Pulswerte, die man im Sattel sitzend nicht erreichen würde. Vergleichen lässt sich dies mit langlaufen oder rudern. In beiden Sportarten sind im Bewegungsablauf praktisch alle Muskeln des Körpers aktiviert und verbrauchen Sauerstoff. Entsprechend erreichen Sportler:innen aus diesen Sportarten sehr hohe Vo2max-Werte.

Praxis

Wer selbst ab und zu langlaufen geht und sich an den Einstieg in den Sport erinnert, weiss nur zu gut wie schnell der Puls nach ein paar Metern in die Höhe geschnellt ist. Dies weil der Bewegungsablauf und das Gleichgewicht zuerst erlernt werden müssen. Und genau gleich verhält es sich mit dem Wiegetritt im Radsport. Nur bei einem optimalen Zusammenspiel aller Muskeln, bleibt die Effizienz hoch, um auch dann schnell zu sein, wenn das Intervall oder die Attacke länger als 30 Sekunden dauert. Profis sind so gut darin, dass sie ohne Probleme eine Stunde lang so fahren könnten. Ein Meister darin war der Italiener Marco Pantani. Wenn er an den Anstiegen im Unterlenker aus dem Sattel ging, wussten seine Gegner was es geschlagen hatte: 

https://www.youtube.com/watch?v=Y8lZsQwTw7w&t=55s

Das komplette Gegenteil war/ist Chris Froom. Er ging in seinen besten Zeiten nur selten aus dem Sattel und setzte sich stattdessen mit einer hohen Trittfrequenz von seinen Gegnern ab: 

https://www.youtube.com/watch?v=zyw8ia-Az4w

Diese beiden Beispiele zeigen, dass es sehr stark auf den eigenen Fahrstil ankommt und vor allem, wie stark die einzelnen Muskelgruppen sind. Vergleichen lässt sich dies mit dem Laufsport wo unterschieden wird zwischen Vorfuss-, Mittelfuss und Fersenlauf. Wer mit was schnell ist, ist sehr individuell. 

Zusammenfassend kann man zum Wiegetritt sagen:

  • Je kürzer das Intervall, umso besser
  • Leichte Fahrer:innen profitieren stärker 
  • Je höher das Vo2max umso besser
  • Die Trittfrequenz muss tiefer sein
  • Die Aerodynamik ist markant schlechter 
  • Die richtige Technik muss geübt werden

Unser Tipp

Versuche nicht Profis nachzuahmen, indem du am Berg verzweifelst versuchst, gleich lange aus dem Sattel zu fahren. Aber auch das Gegenteil ist nicht gut. Nämlich auf dem Velo wie ein Roboter zu wirken und nichts zu bewegen ausser die Beine. Dein Fahrstil ist individuell und so solltest du dich auch bewegen! Gib dir keine Blösse, wenn dein Oberköper etwas wackelt. Das ist völlig ok, da nicht der- oder diejenige mit dem schönsten Fahrstil gewinnt. Den Wiegetritt solltest du aber regelmässig üben, da du so den unteren Rücken und das Gesäss entlasten kannst! Auch bei Vo2max-Intervallen kann es interessant sein, öfters mal aus dem Sattel zu fahren. Denn wie oben erwähnt, ist das Vo2max tendenziell höher, je mehr Muskelgruppen involviert sind.